QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

Würde und Kleidung

„Die meisten Frauen wählen ihr Nachthemd mit mehr Verstand als ihren Mann“, sagte die wunderbare Coco Chanel . Aber gilt das noch?

Haben Sie mich vermisst, liebe Leserin? Natürlich hoffe ich das. Nun, auch ein Kolumnist braucht mal Tapetenwechsel und ich war zwei Wochen weg. Entsetzt sah ich wieder einmal: Ein paar Grad Celsius im zweistelligen Bereich und die Menschen entblößen sich, zertrampeln halbnackt europäische Metropolen und begehren in Flipflops und Badehose Einlass ins Sacher-Café in Wien oder in den Dom zu Mailand. Dafür stellen sie sich auch brav in Zweierreihen an. Ordnung muß ja sein.

Coco Chanel© Chanel

Aber, haben Sie sich die Menschen in den Schlangen mal angesehen? Überall können Sie sich von der Tatsache überzeugen: Entblößen heißt auch entblöden; jetzt sieht man wieder alles! Alles, was man lieber nicht sehen will, wird jetzt wieder schonungslos, hemmungslos, gnadenlos gezeigt. Männer mit käseweißen, spindeldürren, haarigen Storchenbeinen; Frauen in T-Shirts gepresst, dass man - politisch korrekt - das Michelin-Männchen nicht mehr als Männchen bezeichnen mag. Und der Sommer kommt erst noch!

Ich weiß nicht, ob es wirklich beruhigend ist, dass es wahrscheinlich mehr tätowierte Menschen als FPÖ-Wähler gibt und dass sich kaum jemand noch bei der Wahl seines Outfits irgendwelche Gedanken macht. Dabei hätte das doch viel mit Würde zu tun, mit Achtung, ja mit Liebe zu sich selbst; ich meine die Wahl der Kleidung, nicht die der Partei.

„Die meisten Frauen wählen ihr Nachthemd mit mehr Verstand als ihren Mann“, sagte Coco Chanel , zweifellos eine der klügsten Frauen des vergangenen Jahrhunderts und irrte doch. Ich bezweifle, dass selbst die Wahl des Nachthemds noch irgendwie mit Verstand getroffen wird. Übrigens, analog wählen auch Männer ihre Autos nicht mit Verstand, sonst gäbe es nicht so viele SUVs. So wenig wie ich verstehe, warum Menschen in Sandalen auf Berge klettern, so wenig verstehe ich, warum sie in Strandklamotten durch Städte schlurfen. Ist denn jedes Gefühl dafür abgestorben, sich selbst in einen Kontext zur Umgebung zu stellen? Ist jeder Verstand dafür flöten gegangen, dass der Mensch sich in urbanem Umfeld anders verhält und anders wirkt als beispielsweise in der Natur? Dass er auf einem Boulevard anders geht, eine ganz andere Körperlichkeit entwickelt als auf einem Feldweg?

Ja, Sie wollen es jetzt wieder lustig haben, liebe Leserin? Hm, ich bekomme die Schenkelklopfspaßkolumne nicht hin, wenn ich über Kleidung nachdenke. Machen wir’s nochmals nachdenklich: „Man darf anders denken als seine Zeit, aber man darf sich nicht anders kleiden“, heißt ein anonymes Sprichwort. Stimmt, denn wer’s dennoch macht, ich meine, sich anders zu kleiden, der ist auch schon tot, wie Tom Wolfe. Ich betrachte die Mode ja nun schon einige Dezennien und finde doch folgendes ziemlich paradox: Mode wurde in den vergangenen vier Jahrzehnten als Industrie immer bedeutsamer, aber die Menschen laufen immer uniformer gekleidet herum. Modezeitschriften gab es nie so viele, aber die Menschen kleiden sich immer geschmacksbefreiter. Modedesigner wurden nie so sehr als Götter gehypt, aber die Menschen fanden am Ende nur das Zeug von Michael Kors und hielten dessen Taschen tatsächlich für bedeutsamer als ein Hofer-Sackerl. Der Ratschlag Ihres Kolumnisten ist kein Radschlag seiner Eitelkeit, so gut sollten Sie mich inzwischen kennen. Ich rate also wenn man vor dem Kleiderschrank steht, einfach mal nachzudenken und sich zu fragen: Wohin gehe ich heute? Wem begegne ich heute? Und dann nach der Antwort das Outfit zu wählen. Das hat einiges mit Respekt und Achtung zu tun. Vor sich selbst. Vor dem Ort, an dem man sich aufhält. Vor den Mitmenschen.

#pascalmorche

Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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