QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

„Wieder 365 Tage rum!“

Weihnachten, Silvester, Neujahr – braucht’s das?

Ums gleich zu beantworten: Ja! Der Mensch braucht Rituale. Rituale geben Halt und Haltung. Dass Weihnachten ist, können wir sogar einem „Feknjuhs“-Vertreter glauben und dem glauben wir sonst nix mehr.

Weihnachtskrippe© Playmobil

Der Christbaum: Klar, muss man schon beim Kauf aufpassen! Den Baum also nicht im letzten Moment erwerben, da gibt’s nur noch Krüppelkiefern. Vorsicht auch vor militantem, veganen, politisch-korrekten Besuch an Weihnachten: Der akzeptiert nämlich nur eine Bio-Tanne. Und ist Ihnen auch schon aufgefallen: Je kleiner die Kinder, desto größer der Baum. Scheint ein Naturgesetz zu sein. Kindern, die sich zu Weihnachten ein Netflix-Abo wünschen, müssen Sie nichts mehr vom Weihnachtsmann erzählen und den Baum brauchen Sie auch nicht vor ihnen im Keller zu verstecken.

Die Geschenke: Eltern sollten wegen der Kinder auf anzügliche Geschenke unterm Baum verzichten. Ausnahme eine Hermès-Peitsche; die jedoch nur, wenn die Familie auch sonst der Reiterei frönt. Aber ein Rosebud mit Puschel könnte falsch verstanden werden: „Ist das ein Staubwedel?“. Wir wollen Kinder doch nicht belügen, wenn sie Fragen stellen.

Der Baumschmuck: Ich finde, Opernsängerinnen und Christbäume können gar nicht überschmückt sein. Elektrische Kerzen oder blinkende LED-Lichterketten? Nur outdoor auf Balkon oder Terrasse und nur, wenn Sie den Nachbarn zeigen wollen, dass Sie schon mal in Las Vegas waren. Indoor gilt: Immer echte Kerzen (außer bei Ihnen lebt eine marodierende Katze mit einer Killer-DNA).

Die Krippe? Nur mit Figuren aus dem Erzgebirge! Also Playmobilkrippen sind ein No-Go und Gespräche über Religionsgeschichte vermeiden Sie besser. „Als das kleine Playmobil-Baby dann groß war, wurde es ans Kreuz genagelt“. Bedenken Sie: Playmobil hat zu Ostern auch eine Kreuzigungsszene im Sortiment (kombinierbar mit einem Kreuz aus Legosteinen).

Das Weihnachtsessen: Sollte zwar ’was hermachen, aber unkompliziert sein. Und falls Sie Veganer einladen, vergessen Sie nicht: Die essen unserem Essen das Essen weg. Bei Normalkulinarikern aber empfiehlt sich Fisch aus dem Backofen oder Frankfurter Würstel mit 24 verschiedenen Senfsorten. Also, bloß nichts Kompliziertes kochen. Die Zeitdauer der Bescherung ist schließlich unberechenbar und hängt von der Komplexität der Geschenke und den Kommentaren dazu ab. Dann noch à la minute und mit vielen Beilagen zu kochen, sollte man weder sich noch anderen zumuten. Der Heilige Abend darf nicht in Arbeit ausarten.

Der Alkohol: Gefährliche Sache, weil verständlich, dass mancher am 24. ein Glas zuviel trinkt. Aber das Gläschen zuviel lockert meist auch zuviel der Zunge und endet oft mit dem versehentlichen Zertreten von Krippenfiguren. Wenn das geschieht, schreien die Kleinen „Du hast das Jesu-Kind totgetreten!“ oder die Großen greinen „Das war ein Geschenk meiner Mutter und das hatte sie schon von den Großeltern.“ Also: Alkohol führt nur noch leichter zum Streit. Scheidungsanwälte haben nach den Weihnachtsfeiertagen übrigens immer Hochkonjunktur.

Ja, und dann kommt diese Zeit  „zwischen den Jahren“ – ein regelmäßiges und gefühlsmäßiges Vakuum. Quasi der temporäre Transit-Bereich, nur ohne Dutyfree. Auch diese Tage gehören zum Ritual des Jahreswechsels. Die Kinder haben dann bereits ihre ersten Geschenke zerlegt. Der Baum beginnt zu nadeln. Die Drohne, das Geschenk für ihn bzw. das Kind im Manne ist (wie schon einige Drohnen zuvor) über dem Nachbargrundstück, also über Feindesland, abgestürzt. Zum Nachbarn besteht nämlich ein ähnlich herzliches Verhältnis wie zwischen Nord- und Südkorea - und wollen Sie über Nordkorea abstürzen?

In dieser Zeit „zwischen den Jahren“, deren Ende wir so sehnsüchtig wie die Heiligen Drei Könige erwarten, fällt auch immer der Satz: „Nächstes Jahr feiern wir Weihnachten und den Jahreswechsel mal ganz anders“. Über das „Wie“ denken wir die kommenden 365 Tage nicht wirklich nach. Die Drohung nämlich, dass der 24. Dezember in aller Unerbittlichkeit naht, versuchen wir jedes Jahr möglichst lange zu verdrängen. Ja, wir versuchen diese Drohung sogar dann noch zu ignorieren, wenn Ende August wieder die ersten Schokoladenweihnachtsmänner in den Supermarktregalen Wache stehen. Wenn sie uns subtil Angst einflößen und uns mahnen: „Ihr entkommt uns nicht!“

#pascalmorche

Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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