QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

Lob der Faulheit

Am 17. Oktober feiern wir den Tag des Faultiers. Da feiern wir mit! Es gibt auch den „International Lazy Day“ alljährlich am 10. August. Da war Ihr Kolumnist aber zu faul, um über Faulheit zu schreiben.

Ich bin faul. Wer diese drei Worte sagt oder schreibt, der muss selbstbewusst und mutig sein. Von sich zu behaupten, der Faulheit zu frönen, das geht gar nicht. Aber zunächst zur Ehrenrettung der Faultiere, die wir am 17. Oktober feiern: Sie sind dem Ameisenbären verwandt und gehören zu den zahnarmen Säugetieren (Beissen ist eben Arbeit).

Faultier© Pixabay

Faultiere schlafen viel, bewegen sich langsam und sind in die Gattungen der Zweifinger- sowie der Dreifinger-Faultiere unterteilt. Die Umklammerung, zu der sie mit diesen Fingern fähig sind, wird von Zoologen als „schraubstockartig“ beschrieben. Sie, meine lieben Leserinnen, lassen sich bitte niemals von einem Faultier umklammern. Niemals! Das Faultier will sich nämlich nur auf Ihre Le Corbusier-Designerliege legen und Sie müssen das Geld verdienen. Ich will Sie nur warnen. Aber nun zum Lob der Faulheit.

Schon das Wort „Faulheit“ ist stigmatisiert. Abmildernd spricht man von „Trägheit“. So wird in der Soziologie Trägheit als ein Mangel an „erwartbarer Aktivität bei einem Menschen bezeichnet“. Da drängt sich die Frage auf:  Was ist erwartbar? Und erwartbar von wem? Richtige Antwort: Die Gesellschaft erwartet den nicht-faulen Menschen! Deswegen nennt sie jene Menschen „Anstrengungsvermeider“ (schönes Wort!), die ihrer gesellschaftlich auferlegten Arbeit nicht mit hinreichendem Fleiß nachgehen. An der Faulheit haben sich Religion, Soziologie und Psychologie sehr fleißig abgearbeitet. Das Christentum bewertet Arbeitsvermeidung als eine der sieben Todsünden. „Müßiggang ist aller Laster Anfang“ wurde gepredigt und „ora et labora“ (bete und arbeite). Warum? Weil jemand, der faul ist, leichter zur Schwermut neigt. Deshalb Gottfried Benn (googeln, falls unbekannt) und seine Meinung zum Thema Glück: „Dumm sein und Arbeit haben“. Natürlich wurde für die Faulheit immer mal wieder, je nach Gesellschaft und nach Zeitalter, eine Lanze gebrochen: Nicht die 68er-Generation des 20. Jahrhunderts etablierte ein „Recht auf Faulheit“, sondern der Arbeiterführer Paul Lafargue tat dies im 19. Jahrhundert. Er sah damals bereits eine Gesellschaft, die einzig auf „Leistung, Ertrag und Wertschöpfung“ gepolt ist, in der Sackgasse. Über den hohen Wert von Kontemplation, von Muße begann man also schon früh nachzudenken. Ihr Kolumnist, Sie ahnen es, fühlt sich dem verpflichtet. „Zu schauen kam ich, nicht zu schaffen“, ist ihm in Richard Wagners Gesamtwerk die liebste Stelle.

Ich finde, das Leben an sich ist doch bereits anstrengend genug! Nach Religion und Soziologie bemühen wir auch noch die Psychologie. Sie deklarierte die Trägheit sogleich als krankhaft, und viele pathologische Schubladen hält sie bereit. Zum Beispiel die „Prokrastination“ (vulgo: Aufschieberitis). Also, was ich heute kann besorgen, das verschiebe ich gleich auf Überübermorgen. Jeder schiebt etwas auf – und bereut den Aufschub. Ich nicht! Ich glaube als fauler Mensch muss man wesentlich ehrlicher mit sich sein, denn als jener, der sich hinter seiner Arbeit versteckt. Meine Erfahrung: Jene Menschen, die nie Zeit haben, tun am wenigsten. Sie spielen Arbeit und das sind die Schlimmsten! In unserer stets auf Produktivität und Effektivität getrimmten Welt versuchen sie „mit operativer Hektik geistige Windstille zu überdecken“ (Zitat meiner Chefin und Beauty.at-Verlegerin).

Stimmt: Optimierung und Maximierung von allen und allem zum Zwecke gewinnorientierten Denkens ist ein Fehler. Ein Fehler, der schließlich nur dumme, unkreative und phantasielose Menschen hervorbringt. Wenn diese sich dann auch noch für fleißig halten: Gute Nacht! Oder, das Lieblingssprichwort Ihres Kolumnisten: „Gefährlich ist es, wenn die Dummen fleißig werden.“ Also feiern wir das Faultier und lernen von ihm. Viel schlafen! In freier Wildbahn erreichen sie ein Alter um die 15 Jahre; in Gefangenschaft aber können Faultiere bis zu 50 Jahre alt werden. Gefangenschaft ist ohnehin die allerbeste Anstrengungsvermeidung: Keine Feinde, immer Fressen und der Stall wird sauber gemacht – ideale Verhältnisse, um faul zu sein. Der Vorteil: Man kann in aller Ruhe über sich nachdenken. Der Nachteil: Das ist verdammt anstrengend.

#pascalmorche

Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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