QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

Traumwohnung oder Wohntrauma?

Wer etwas erleben will, wer Menschen, Land und Leute kennenlernen möchte, der besichtige doch einfach Wohnungen.

Der Termin mit dem Makler steht: 11:30 Uhr vorm Objekt ! Bis man aber dort vorm Objekt steht, ist es ein weiter Weg, und der misst sich nicht in Kilometern. Auf diesem Weg absolviert der moderne Mensch bei seiner Wohnungssuche drei Studiengänge.

Wohnungsbesichtigung© Pixabay, Beauty.at

1. Das Studium der Literatur. Hier lernt man in Anzeigen und Annoncen Maklerdeutsch, beziehungsweise Maklerpoesie zu verstehen. In dieser speziellen Variante der Lyrik werden nach Baukastenprinzip Module von Adjektiven und Adverbien verwendet, die es zu durchschauen gilt. Das ist nicht immer ganz einfach, denn ein Makler lügt nicht. Er beschreibt die Wirklichkeit einer Wohnstätte nur häufig auf sehr poesievolle Weise. Bietet er beispielsweise eine Wohnung mit inneren Werten an, so kann man ziemlich sicher sein, dass die äußeren Werte dringend renovierungsbedürftig sind. Auch das Wort verkehrsgünstig ist keine Lüge, wenn eine sechsspurige Schnellstrasse hinter dem Haus verläuft. Und wenn ein Makler eine Behausung mit Schmuckstückpotenzial anbietet, so bedeutet das, diese Hütte ist eine ganz und gar angeranzte Behausung. Sie hätte zwar das Potenzial zu einem Schmuckstück - nähme man dafür ordentlich Geld in die Hand und steckte dieses in die Sanierung. Sie merken: Das Wort Potenzial ist die eleganteste Form des vernebelnden Konjunktivs.

Mit Loft und Lässigkeit ködert man urbane junge Leute. Eine repräsentative Wohnung ist per se für Menschen, die gerne repräsentieren, also für Angeber. Wird eine Wohnstätte als herrschaftlich (steigerungsfähig: hochherrschaftlich ) bezeichnet, so soll sie gutsituierte Abendländler ansprechen. Also jene, die über Nestroys „Zu ebener Erde und erster Stock“ lachen. Allerdings lachen sie auch nur, weil für sie selbst natürlich der erste Stock (und höher) zum Wohnen in Frage kommt. Wer lügt schon, wenn er in Wien den Reumannplatz in Favoriten als quirlig lebendig preist, jedes Zimmer mit der kleinsten Luke lichtdurchflutet nennt und mit der Formulierung idyllische Lage in unberührter Natur eine Wohnung meint, die vom nächsten Supermarkt 20 Kilometer entfernt ist? Natürlich will der Wohnungssuchende das Optimale als Behausung, er sucht das Ideal. Kurt Tucholsky hat diese Suche, 1927, wunderbar beschrieben: „vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße“. (Googeln Sie das Gedicht „Das Ideal“, es lohnt sich!).

2. Das Studium der Architektur. Es bietet Wohnungssuchenden (besonders Liebhabern von Altbau) die Möglichkeit, jene baulichen Grundbegriffe kennenzulernen, die ein Makler gerne in Exposés einfließen lässt. Worte wie Portikus, Mezzanin, Atrium, Patio, Attikageschoss, Kranzgesims und Eierleiste sollten einem geläufig sein; ebenso kann es nicht schaden, bei einem Giebelfeld vom Tympanon zu sprechen. Ach ja: nicht vergessen (in Wien!) Adolf Loos, Josef Hoffmann und Otto Wagnerzu preisen. Außerdem lernt der Deutsche (also Ihr Kolumnist) bei der Wohnungssuche in Wien auch noch die Selbstverständlichkeit von Pawlatschen, Dienerzimmer, Salon, Bel Etage und Tapetentür kennen. Das verwundert den Piefke, der in der Heimat nur prosaische Bezeichnungen wie Eltern, Kind 1, Kind 2, Schlafen im Grundriss des Maklerexposés las. Und nun? Willkommen in Kakanien.

3. Studium der Psychologie . Neben dem Literatur- und Architekturstudium entscheidet das Psychologiestudium am meisten über den Zuschlag eines Wohnobjekts. Suchen Sie zu zweit (also klassische Form der Partnerschaft Mann/Frau) so treten Sie als Paar und nicht als Pärchen auf. „Ein Paar ist verheiratet. Ein Pärchen, naja, Sie wissen schon“. So was kann man auch 2021 noch hören. Treten Sie seriös, aber nicht spießig auf (denn vor allem will man ja beim Makler Eindruck schinden; und der Makler selbst ist niemals spießig. Niemals, sonst wäre er ja kein Makler!)

Das psychologische Momentum sich der Sympathie des Maklers zu versichern, entscheidet, ob er Sie beim Vermieter empfiehlt oder nicht. Er selektiert! Er trifft die Vorauswahl für seinen Auftraggeber. Also „hauen Sie sich bei ihm ein“! Zunächst: wählen Sie kein frivoles Outfit. Geben Sie sich souverän und selbstbewusst, aber nicht überheblich. Nur einer darf überheblich sein: Der Makler! Lassen Sie im 50qm-Salon lässig die Worte „hier kommt der Bösendorfer hin“ auf’s Fischgrätparkett fallen. Das wirkt! Beziehungsweise es wirkt, falls der Makler seine Objekte nicht ausschließlich in sozialen Brennpunkten feilbietet.

Schenken Sie dem Makler Einblick, wohin Sie Ihre LC2-Liege stellen werden , wo der Attersee hängen soll und wo Sie später einmal schlafen wollen. Lassen Sie ihn also an Ihrer Privatsphäre partizipieren. Psychologisch schafft das Vertrauen. Und Vertrauen schafft Bindung. Und Bindung zum Makler schafft den Zugang zum Wohnungsvermieter. Zeigen Sie sich interessiert, doch nicht neugierig. Und stellen Sie keine Bedingungen bezüglich des Einzugstermins. Niemals! Die Kündigungsfrist, die Sie bei ihrer gegenwärtigen Wohnung haben, interessiert einen Makler nicht. Er hat kein Mitleid, wenn Sie zwei oder drei Monate die Miete für zwei Wohnungen bezahlen, er findet nämlich immer einen nächsten Besten zum nächsten Ersten eines Monats.

Bestechungsversuche sind prinzipiell gefährlich. Es ist von ihnen abzuraten. Dennoch: manche Wohnungssuchende bieten dem Makler für ein begehrtes Objekt in Städten mit umkämpftem Wohnungsmarkt (München!) Geld, andere bieten noch weniger: ihren Körper. Jeder Mensch ist bestechlich, vor allem wenn er Makler ist. Ein Makler gibt das aber nicht zu, er sagt nur „wir werden da sicher einen Weg finden“. Bestechungsversuche kommen häufig bei „Sammelterminen“ vor: 20 Personen werden dann durch ein Objekt gejagt, man lernt also 19 Feinde kennen. Noch ein Ratschlag für alle, die Wohnungen als Paar besichtigen. Wundern Sie sich nicht, dass Sie Ihren Partner oder Ihre Partnerin plötzlich ganz neu kennenlernen. Kann sein, dass Sie plötzlich erschüttert sind über ihre oder seine Einrichtungsvorstellungen. Geraten Sie dabei aber nicht in Streit – das kommt vor dem Makler nicht sehr gut an.

Eine neue Wohnung ist immer der Beginn neuer Möglichkeiten. Leider ist sie aber auch der ideale Beginn, um die alten Fehler des Lebens zu wiederholen. In neuen, frisch gestrichenen Räumen fällt einem das selbst aber nicht so auf. Das ist gefährlich!

#pascalmorche

ÜBER DEN AUTOR

Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
eMail [email protected]

QUIET WORDS - Alle Kolumnen