QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

Das Sofa in Zeiten von Corona!

Es ist nie zu weit zum Sofa. Homeoffice und Videokonferenz könnten verhängnisvoll werden.

„Man kann mit einer Wohnung einen Menschen ebenso erschlagen wie mit einer Axt“. Das schrieb, vor fast 100 Jahren, der Maler und Fotograf Heinrich Zille und meinte natürlich „die Einrichtung“ einer Wohnung. Österreicher müssten nach Zilles Meinung besonders gefährdet sein. Im Land mit der höchsten Möbelhausdichte der Welt, im Paradies von Möbelix-Mömax-Leiner-Ikea-KiKa-XXXLutz ist es schließlich besonders leicht, an Tatwaffen zu kommen. Zum Beispiel an Sofas. Wir leben also gefährlich, seit wir das körperlich angenehme Zwischenstadium zwischen Sitzen und Liegen für uns entdeckten und nun auch noch zu Homeoffice und Videokonferenz verdonnert sind.

Sofa© Pixabay

Aber der Reihe nach: Der Mensch braucht kein Sofa! Er braucht einen Stuhl, einen Tisch oder ein Bett. Aber ein Sofa? Ein Sofa ist keine rationale, sondern eine emotionale Notwendigkeit und findet auch ziemlich spät Eingang in die Kulturgeschichte des Wohnens. Nämlich erst seit Menschen sich den Luxus gönnen (können), am helllichten Tage zu ruhen. Irgendwann war Schluss mit der improvisierten Kombination von Sessel und Hocker! Für Adel und Upperclass, also für diejenigen, die schon immer gern auf der faulen Haut lagen, wurden Chaiselongue und Ottomane erfunden, dann die Récamière und im frühen 19. Jahrhundert das Sofa!

Ein Sofa schenkt Müßiggang und Muße . Hier kann man träumen, dösen, relaxen, die Füße hochlegen, sich ausstrecken, sich sammeln, entspannen, fläzen, chillen, sinnieren, kuscheln, pausieren, Gedanken nachhängen, fernsehen, sich nur mal eben hinlegen. Die Zeit anhalten und die Welt vergessen – auf einem Sofa ist das möglich! „Ruhe, Stille, Sofa und eine Tasse Tee geht über alles“, dichtete Theodor Fontane. Recht hat der Mann! Ein Sofa dient der Kontemplation, der Beschaulichkeit. Es ist jener Ort, der sich unserem Effektivitäts- und Nützlichkeitsdenken entzieht - und dann kam Corona! 

Corona führte mit Lockdown, Ausgangssperren und Quarantäne zum Homing . Nun ist Homing im Grunde dasselbe wie Cocooning, nur dass man nicht mehr gezwungen ist, dreimal hintereinander ein O wie ein U auszusprechen. Während man aber um das Jahr 2002 bei Cocooning an stille, selbstbestimmte Stubenhockerei dachte, tobt nun beim fremdbestimmten Homing das Leben: Es wird gelernt, gelehrt, gearbeitet. Plötzlich sind Sofalandschaften die einzigen Landschaften, die der Mensch noch kennt. Das gepolsterte Herumgehocke im engsten Familienzirkel unter dem Lichtkegel der Stehlampe findet nicht mehr nur zum Zwecke des Fernsehens statt, sondern für Homeschooling und Homeoffice. Die traditionelle Sofaecke als Epizentrum des Lebens (oder der Leblosigkeit).

Nur: Wer bei einer der Videokonferenz mit Nackenhörnchen auf dem Sofa lümmelt, zeigt den anderen, dass diese Form von lässigem office style wahrscheinlich „untenrum“ mit der Jogginghose weitergeht. Wer diese trägt, folgt dem berühmten Bonmot des seligen Herrn Lagerfeld und hat bekanntlich die Verantwortung für sich und sein Leben abgegeben: In Jogginghose auf dem Sofa mit dem Laptop im Homeoffice. Welcher Chef will Couch-Potatos, die Verantwortung  über ihr Leben abgegeben haben?

Es gibt Menschen, die sogar ein Sofa im Internet kaufen. Mir ist das vollkommen unbegreiflich! Ihr Lieblingskolumnist befürchtet, dass häufiger Frauen als Männer ein Sofa online erwerben – aber ich bin ja auch kein Online Shopper. Ich suche das analoge, persönliche Gespräch im Geschäft. Beim Sofakauf  wird doch das schicke Wort „haptisch“ wirklich zum Ereignis: Ich will auf einem Sofa zur Probe sitzen, den Stoff streicheln, die Festigkeit der Polsterung fühlen; manche aber wollen das wohl nicht. Wenn es dann geliefert wird, das tolle Sofa, dann ist der Schock allerdings gewaltig, denn das Sofa ist manchmal größer als das Zimmer, indem es stehen soll.

Die Lieferung des Sofas selbst kann ein Problem sein. Darum gibt es ernsthaft das Sofaproblem in der höheren Mathematik. Es behandelt das ungelöste Thema, das 1966 erstmals von dem österreichisch(!)-kanadischen Mathematiker Leo Moser beschrieben wurde: „Die zweidimensionale Idealisierung des praktischen Problems, Möbelstücke um Hindernisse zu bewegen.“ Für Möbelpacker ist das Alltag: ein Sofa kann in einen Flur hinein-, aber nicht mehr hinausmanövriert werden. Natürlich kann man auch mit einem Klavier oder einem Sarg im engen Treppenhaus stecken bleiben – aber Sofas werden eben häufiger transportiert. Klicken Sie den Link  „Sofaproblem" , dieses Thema der höheren Mathematik ist absolut unglaublich – und ungelöst!

Ein LC3 Divano von Le Corbusier in schwarzem Leder ist wahrscheinlich das männlichste aller Sofas. Frauen mögen lieber Stoff statt Leder und alle schätzen die Form von Ecksofas. Sie sind ein Resultat der frühen 70er-Jahre: für LSD-Räusche und freie Liebe entdeckte man damals die „Sitzlandschaft“. Das klingt heute spießig und wurde durch „Loungecharakter“ ersetzt. Da ich meiner Chefredaktion versprochen habe, mich bei meinen Lieblingsthema ein wenig einzubremsen, fällt hier auch kein Wort zum Thema Besetzungscouch. Wenn also jemand behauptet, dass Buttermilchflecken Buttermilchflecken sind, so ist er über jeden Zweifel erhaben. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass Polster ein Synonym von Kissen ist – und Kissen kommt von: Küssen. Diese etymologische Erklärung hat niemand besser übersetzt als Salvador Dalì, als ihm zu Mae West ein Sofa in Form eines Kußmundes einfiel. Aber eigentlich ist es völlig egal, für welche Sofaform sich der Mensch entscheidet. Wichtig ist nur, dass er sagen kann: Mein Sofa und ich, wir verstehen uns.

#pascalmorche

ÜBER DEN AUTOR

Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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