QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

Zahn um Zahn

Gesunde, gepflegte, weiße Zähne sollten eine Selbstverständlichkeit sein. Aber braucht es dafür Bambuskohle-Nanozahnbürsten und schwarze Zahnpasta?

Lebensabend klingt wie Resturlaub. Da macht man sich Gedanken, was als nächstes am Körper kaputtgeht. Zahnreparaturen werden teuer – trotz Shuttle Service nach Ungarn. Deshalb: Immer schön die 32 Zähnchen pflegen, die der Mensch normalerweise hat. Zweimal täglich mindestens(!) drei Minuten putzen. Das ist eine basic Regel. Ein Vampir ohne Zähne muss auf Tomatensuppe umsteigen und wir wollen ja auch morgen noch kraftvoll in einen Apfel beißen. Hier nun könnte die Kolumne eigentlich zu Ende sein: Ein Absatz, zwei Scherze, eine Binsenweisheit und Schluss. Wäre da nicht die Frau des Kolumnisten, die weltbeste Beauty.at-Chefredakteurin, welche mich immer wieder liebevoll mit den neuesten Produkten der Kosmetik-Industrie vertraut macht.

Toast© iStock-Bavorndej

Zunächst aber stellt sich (rein psychologisch) die Frage: Zähneputzen, einsam oder gemeinsam? Manche halten diesen Vorgang für derartig intim, dass sie mit sich und mit der Zahnbürste im Mund (egal, ob händisch oder elektrisch) unbedingt allein sein müssen. Also Zahn um Zahn, Auge um Auge vor dem Badezimmerspiegel.  Ich finde, es gibt noch viel intimere Dinge, die man nicht alleine veranstaltet, aber das gehört hier jetzt nicht her. Viele, stets Effizienz maximierende und zielorientierte Menschen scheinen die Leere dieser (mindestens!) drei Minuten des Zähneputzens irgendwie füllen zu müssen. Aus Angst vor dieser Leere laufen sie panisch in der Wohnung herum und putzen sich dabei die Zähne. Resultat einer „Cleaning by walking“-Mentalität sind dann  oftmals kleine weiße Punkte auf der schwarzen Ledercouch. Muss nicht sein! Also: Bleiben Sie im Bad bei der Pflege Ihrer Beißerchen. Und ob Sie die nun vor oder nach dem Duschen putzen, ist zwar „wurscht“, für viele aber dennoch ein Thema.

Ihr Kolumnist benutzt übrigens die klassische Handzahnbürste. Bevor deren Borsten wie ein Gamsbart am Trachtenhut auseinanderfallen, wird eine neue Zahnbürste gekauft. In einem Drogeriemarkt vor dem Verkaufsständer mit Zahnbürsten zu stehen, gibt einem ein ähnliches Gefühl von Verlorenheit (im Angebot), wie es Verkaufsständer mit Druckerpatronen oder Staubsaugerbeuteln auszulösen vermögen. Ich wähle immer, Preis und Borsten betreffend, eine „normale“ Zahnbürste. Also: mittlerer Preis, mittlere Borstenhärte; Dr. Best ist immer teurer als die Hausmarke der Drogerie, aber der Mann hat ja auch promoviert. Mit einer elektrischen Zahnbürste habe ich mich nie anfreunden können. Diese Aufsteckbürsten neu zu kaufen, schien mir stets umständlicher als das Erwerben des ganzen Teils. Außerdem : Rundbürstenkopf? Rotationsbürstenkopf? Schallbürstenkopf? Ich bin absolut kein Technikfreak. Es interessiert mich nicht, dass es Elektrozahnbürsten gibt, die mir über eine Blue“tooth“-Verbindung zum Smartphone Rückschlüsse zu meinem Putzverhalten geben und auf einer App anzeigen. Eher fände ich es interessant, was man mit einer Elektrozahnbürste noch so alles anstellen könnte, aber ich habe Ihnen, mir und meiner Chefredakteurin geschworen, das Thema Sex in dieser Kolumne zu reduzieren. (Sie können ja mein neuestes Buch lesen ). Übrigens gibt es auch noch „Ultraschallzahnbürsten“, die bis zu 1,8 Millionen Schwingungen pro Sekunde erreichen...alles zu physikalisch, zu mathematisch für mich. Ich bin kein Überschallpilot und brauche keine Ultraschallzahnbürste. Der zweite Frühling kommt mit den dritten Zähnen. Letzteres will ich noch hinauszögern. Dr. Best hilft mir dabei.

Weil heute alles „nachhaltig“ sein soll, gibt es für „sanfte Zahnpflege“ und „nachhaltige Mundhygiene“ die Nano-Zahnbürste aus Moso-Bambus . 20.000 ultraweiche Borsten können nicht irren, nur polieren. „Dieses Naturprodukt ist der am schnellsten nachwachsende Rohstoff“, beruhigt die Werbung und macht klar: Zähne putzen und die Welt retten; beides ist möglich. Gleichzeitig. Die Nano Zahnbürste Bambus sei (wie der Mensch selbst) zu 95 Prozent kompostierbar. Das beruhigt jeden Bio- und Ökofreak.

Das pädagogisch ausgetüftelte Kinderlied „Hacki Backi“ soll die Kleinen zur Zahnpflege animieren. Hacki Backi ist ein böses Monster, das stets auf Kuchen, Bonbons und sonstigen Süßkram aus ist und sich nur durch mindestens (!) dreiminütigen Borsteneinsatz vertreiben lässt. Das Ausmerzen des Hacki Backi ist der Zahnpflegeindustrie oberstes Ziel.

Bei mir trägt das Monster Tarnfarbe. Hacki Backi mag nicht nur Lollis, sondern auch Zigarillos von Monte Christo und Rotwein. Da der Arroganz und dem Snobismus des Kolumnisten nur die gute „Dekadent“ gerecht würde, diese aber am Markt nicht verfügbar ist, wählt er auch hier Billiges. Sagte seine Mutter doch schon immer: „Zahnpasta ist Schlämmkreide. Alles nur Schlämmkreide“. Nun wird’s politisch: blackfacing darf nicht sein, aber gebleacht und gewhitenet wird auf Teufel und Hacki Backi komm raus. „White Now“, also das Gegenteil jedes black lives matter-Protests steht auf meiner Zahnpastatube. Paradoxe Welt: Ich nehme jetzt schwarze Zahnpasta für weiße Zähne. Aktivkohle (gibt’s auch Passivkohle?) zunächst ein absoluter Food-Hype, hat es in den vergangenen Jahren in die Zahnpastatuben geschafft. Schwarze Zahncremes sollen jetzt die Zähne aufhellen und versprechen natürlich auch noch zu entgiften (das Wort Detox kommt auf jeder Verpackung gut), sowie antibakteriell, schonend, bio und umweltfreundlich zu sein. Das sei aber nicht wissenschaftlich belegt, warnten Britische Zahnärzte im Fachblatt „British Dental Journal“ vor falschen Versprechungen in der Werbung. Mir egal. Ich putze mindestens (!) drei Minuten bis die Tube leer ist. Und dann: Lesen Sie  hier weiter.

Zurück zum Anfang dieses Textes: Schwarze Zahnpasta ist wirklich ein Grund, sich nicht mit seinem Partner (und wär’s der liebste Lebensmensch) zum gemeinsamen Zähneputzen vor dem Badezimmerspiegel zu treffen. Zwei schwarze Münder. Der letzte Schrei.

#pascalmorche

ÜBER DEN AUTOR

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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