QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

„Ab ins Grüne, auf nach Balkonien!“

Im Garten oder auf dem Balkon kann Ihnen auch diesen Sommer so einiges blühen. Leider nicht nur Blumen.

Unsere Liebe zur Natur ist eine Art Stockholm-Syndrom. Sie wissen schon, so nennt die Psychologie jenes Verhalten, bei dem Opfer mit ihren Tätern sympathisieren und sich am Ende sogar solidarisieren. Wie jene Geiseln in einer schwedischen Bank, welche die Täter nach ein paar Tagen richtig gerne mochten und zu ihnen ein positives emotionales Verhältnis aufgebaut hatten. Man will halt überleben. So ist’s auch in der Natur: Besser die Natur richtig toll liebhaben, bevor selbige zurückschlägt mit Flutkatastrophen, Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Hornissenplagen oder (ganz zeitgemäß) mit Epidemien. Das ist nämlich auch alles Natur; aber so wollen wir sie nicht haben, sondern domestiziert und immer hübsch freundlich. Zum Beispiel Natur in Form von Garten- oder Balkonbepflanzung. Nach dem Motto: Tu Du uns nichts, wir tun Dir auch nichts.

Balkonien© Pascal Morché

So fahren wir in Baumärkte und Gartencenter, die sind ohnehin „systemrelevant“. Das lernten wir in der Coronakrise, geahnt hatten wir es aber schon vorher: Was ist der Mensch ohne Baumarkt? Ein Nichts ist der Mensch ohne Baumarkt! Menschen muss man nochmals unterscheiden in Männer und Frauen. O.K. - das ist jetzt eine ganz grobe, nicht schick gendermäßige Einteilung, aber Queere, Diverse und Hermaphrodit*Innen lassen wir jetzt mal weg. Also, Mann und Frau gehen zum Zwecke der Garten- und Balkongestaltung durch den Baumarkt. Der Mann interessiert sich für Laubgebläse, denn der Herbst kommt sicher; er interessiert sich für Kärcher-Dampfdruckstrahler, denn die kann er auch für Autofelgen benutzen und eine Stihl-Kettensäge ist für ihn sowie so eine Art Bazooka (das Wort Panzerfaust würde zu sehr nach Weltkrieg II klingen). Frauen interessieren sich eher für das Schöne, also für Pflanzen und Blumen. Die Zeiten, da Gartenbau und Landschaftsarchitektur eine Männerdomäne waren, sind lange vorbei: Le Notre (Versailles) oder Fürst Pückler (ausser Eiscreme konzipierte er auch die schönsten Parks).

Zurück zu Garten, Terrasse und Balkon. Wer glaubt, es müsste an diesen Orten grundsätzlich gelten: Mehr Quadratmeter bedeutet mehr Natur, der irrt!  Der Mensch liebt die Natur, will sie schützen und wählt auch dann Die Grünen, wenn er eine Rose nicht von einem Gänseblümchen zu unterscheiden vermag. Er (also der Mann) benutzt einen Balkon zumeist nur, um dort draußen zu rauchen, Bierkästen zu stapeln oder Pfandflaschen zu horten. Die Frau hingegen möbliert Terrasse und Balkon. Nicht selten wird die heimische Natur dabei überwuchert von Teelichtern, Tonvögelchen, kleinen Windmühlen und anderem Schnickschnack für die gefühlige Gartengemütlichkeit. Manche träumen auf wenigen Quadratmetern von Monets Garten in Giverny (nicht mit dem Modelabel Givenchy zu verwechseln!), von Palmen auf Dachterrassen am Ocean Drive oder von Lavendel-Feldern der Provence. Träumen wird man ja noch dürfen – leider werden viele Träume aber auch wahr. Die Baumärkte und Gartencenter machen es möglich. Sie leben davon. Darum neigen sich Palmen nicht nur auf den Dachterrassen von Miami Beach in der Atlantikbrise, sondern immer häufiger im Sturm, der den Wohnpark Alterlaa gerne umbraust.

Wie es aussieht, wenn Plastik auf Natur trifft, lässt sich an zugemüllten Traumstränden und indischen oder chinesischen Flussufern entdecken. Wenn Kinder im Haushalt leben, muss man aber nicht soweit fahren. In giftgrün, pink, orange und stets neonfarben konterkarieren Plastikgerätschaften für den Nachwuchs den heimischen Garten, die Terrasse oder den Balkon. Außerdem findet sich immer noch Platz für einen Strandkorb, ein oder zwei Outdoor-Sofas und sonstiges Mobiliar - den Weber Kugelgrill müssen wir nicht noch extra erwähnen. Männer lechzen nach Beschäftigung und politische Gesinnung kann, aber muss man nicht mit Fahnenmast und Flagge im Garten oder auf dem Balkon zeigen.

Ihr Kolumnist wohnt übrigens in München in einer Wohnung mit Balkon. Dieser ist aber eher ein Fassadenelement als dass er zum Outdoor-Living einladen würde. Auf ihn passen genau zwei Menschen und viele bunte Blumen. Ich finde, das ist auch vollkommen genug. Allerdings weht in den Pelargonien stets die Österreichische Flagge. Man muss ein Zeichen setzen!

#pascalmorche

Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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