QUIET WORDS

Alltags-Betrachtungen von Pascal Morché

PINK-ROSA GLÜCK

Die Puppe als Mensch: „Barbie“ der Film

Ich bin, Sie wissen es seit vielen Jahren, ein völlig normaler Hetero-Mann. Mit Puppen, auch mit Skulpturen kann ich sexuell wenig anfangen. Bei manchen Männern mag das anders sein. Sie können ja mal „Agalmatophilie “ googeln. Diese Kolumne bemüht sich eben stets, den Horizont zu weiten. Also: weil ich eben mit Puppen wenig anfangen kann, habe ich auch nie mit Barbie gespielt. Barbie, das ist so eine pink-rosa Welt, die mir fremd ist. Jetzt verwirre ich Sie kurz, liebe Leserin: Pink ist nicht pink. Gegen Pink als Frau habe ich nichts. Pink ist das Gegenteil von Barbie. Pink ist mehr Punk als pink: Pink schwärmt für Rammstein, empfiehlt die Band samt Lindemann ihren Kindern, in Wien hat man Pinks Familie die Fahrräder geklaut und Pink hat Nippelpiercing (Aua!). Das alles haben die plastizide pinke Barbie (und ihr blonder Ken) natürlich nicht. Aber weil es immer um „Pinkepinke“ (jiddisch Geld) geht, kommt Barbie, dies pinke Plastik-Puppen-Produkt (mehr Alliteration geht nicht) am 20. Juli in die Kinos. Sie merken, Ihr Kolumnist nähert sich dem ihm fremden Thema.

Barbie, diese langbeinige Puppe heißt eigentlich Barbara Millicent Roberts und wurde am 9. März 1959 in New York geboren. Jenes Licht der Welt, das sie erblickte, war ebenso künstlich wie Barbie selbst: Das Licht einer Messehalle der American Toy Fair. Barbies Eltern hießen Ruth und Elliott Handler und hatten 1945 das kleine Spielzeugunternehmen Mattel gegründet. In den 50er-Jahren kam das Ehepaar Handler dann auf die großartige Idee, für ihre kleine Tochter Barbara eine Ankleidepuppe nach Vorbild eines Mannequins (so nannte man damals Models) zu kreieren. Barbie wurde sofort zum US-Schönheitsideal von 29,2 Zentimetern: Lange Beine! Pferdeschwanz! Stupsnase! Von Anfang an orientierte sich Barbie an aktuellen Modetrends und wechselte ständig ihre Outfits. Damit Barbie nicht so allein war, gesellte sich bald der blonde Ken (nach Handlers Sohn Kenneth) hinzu. Barbie-und-Ken, das Puppen-Paar, ein amerikanischer Traum aus Plastik. Die perfekte Anziehpuppe, so sexy wie Doris Day, und ebenso clean und aseptisch. Der ersten Barbie von 1959 war es noch nicht möglich beim Hinsetzen die Beine zu spreizen; sie hielt diese damenhaft parallel geschlossen.

Barbie wurde immer wieder (leicht!) verändert, elegant sagt man „modifiziert“: 1967 gab’s ein neues Gesicht mit leicht geöffneten Lippen und 1977 ein Grübchen im Kinn. Hauptsächlich aber änderten sich ihre Klamotten. Barbies kommerzieller Erfolg basiert zu einem wesentlichen Teil auf der Fülle ihres Kleiderschranks. Nichts, wirklich nichts in der Mode, was sie nicht mitgemacht hätte: die Haute Couture von Dior bis Chanel, die klaren Outfits von Jaqueline Kennedy nebst Pillbox-Hütchen, die flippigen Kleider der Carnaby Street, der textile Kitsch von Dallas- und Dever-Clan, Disco-Mode, Designerjeans, Abendkleider, Tennisröckchen. Die Kult-Puppe trägt Badeanzüge als Baywatch-Barbie, hat an den Füßchen High Heels, Overknees, Sneakers. Es gibt die Eislauf-Barbie, die Rockstar- oder die Safari-Barbie (und auch die Domina-Barbie in Leder-Outfits  bei Tomi Ungerer)... Die große, verlockende Frauen-Welt auf 29,2  Zentimetern (ohne High Heels)!

Niemand konnte Barbie etwas antun. Niemand! Nicht einmal die Feministinnen. Sie prangern immer wieder Barbies kritiklosen Konsum an und dass sie ein traditionelles, einfältiges Frauenbild aus Kinder, Küche und Klamotten zementiere; (dabei bekam Barbie 1961 einen Doktorhut). In Saudi-Arabien wurde Barbie 2003 verboten, weil sie mit den Beinen (jetzt spreizbar) wirklich nicht Islam-kompatibel sei und im Iran war es nicht anders: „böses Symbol unmoralischer westlicher Kultur“, das kann dem Propheten nicht gefallen. Aber, so what? Barbies Siegeszug um die Welt tat das keinen Abbruch. Sogar eine psychische Erkrankung wurde nach der langbeinigen Plastikelfe benannt: Vom Barbie-Syndrom sind Patienten geplagt, die wie eine Puppe aussehen wollen. Cindy Jackson hat dies 20 Jahre lang mit viel Geld und 30 Operationen versucht; auch das deutsche Fotomodel Angela Vollrath (Google-pics! Lohnt sich.) nähert sich mit ihrem Protoplasma ihrem Ideal als selbsternannte „Miss Barbie“ an.

Warum aber ist Barbies Welt pink? Gewiss, Barbies Blick geht durch die rosarote Shopping-Brille und man darf annehmen, dass der Blick ihrer kleinen und großen Mitspielerinnen ähnlich rosa glücklich ist. Doch der farbliche Grund ist bei Barbies rosa-rotem Corporate-Design ein ganz anderer. Puppen sind „vor“ ihrem Leben dort, wo Menschen „nach“ ihrem Leben sind: In der Kiste. Ende der 1960er-Jahre ging Mattel dazu über, die Barbie-Puppen in pinkfarbenen Kartons zu verpacken. Seit damals ist das hell und doch tief leuchtende Rosa als „Barbie-Pink“ geschützt. Man argumentierte: die Farbe Rosa würde stets mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht und entspräche so der Zielgruppe der Barbie-Puppe. Eine Glück verheißende Welt in pink, in „Barbiecore“. Wie schön!

Jetzt also kommt die feminine Plastikbeauty in die Kinos. Der erste-Menschen-Barbie-Film kann nur ein Erfolg werden: Endlich weiß man wieder, woran man sich halten kann, denn Barbies pinke Welt ist noch in Ordnung. Sie ist fern vom Gender-Wahn, der Mädels zwecks kultureller Vielfalt in Himmelblau und Buben in Rosa kleiden will. Barbies pinkes Glitzer-„Dreamhouse“ hat das Team, das schon Tolstois „Anna Karenina“ den Leinwandlook verpasste, für den Film nachgebaut. Barbie und Ken mit den beiden Stars Margot Robbie und Ryan Gosling teuer besetzt, dürfen hier zwischen Malibu und Miami endlich wirklich „richtig leben“. Dürfen Mensch sein! Dafür entstand ein Paralleluniversum in Pink! Der Film ist in Pink gehalten, oder eben in dem unvergleichbaren Barbie-Pink, genannt „Barbiecore“. Gib keiner anderen Farbe eine Chance! Alles Pink, alles Glitter: Autos, Häuser, Handtaschen, Shampooflaschen. Bereits im Sommer letzten Jahres kam „Barbiecore“ mit Valentinos „Pink PP Collection“ in die Celebrity-Mode. Die Kardashians oder Megan Fox tragen „Barbiecore“. So sieht wahrer Marketing-Erfolg aus!

„Barbie“, der Film: In Lebensfreude übersetzter Glitzer-Glanz. Die Drehbuchautorin und Regisseurin Greta Gerwig spricht von einer „romantischen Komödie“: „Anarchistisch, wild und völlig verrückt“, sei das Werk. Produzenten (und der Spielzeughersteller Mattel) sind sich sicher, dass sogar (und gerade auch!) Barbiehasser dieser Hollywood-Komödie mit viel Slapstick etwas abgewinnen können. Die Story: Barbie fliegt raus aus ihrer perfekten Plastikwelt und muss sich als echter Mensch in der realen Welt behaupten. Zusammen mit dem süßen Ken lernt die gar nicht so blöde Blondine plötzlich ihre Stärken jenseits des Kleiderschranks kennen. Die Botschaft: Wahre Schönheit kommt eben immer von innen. Für diese Erkenntnis Barbie zu bemühen, ist zumindest interessant, wenn nicht gar revolutionär. Und so könnte es durchaus sein, dass es blödere Filme gibt als die Hollywood-Komödie „Barbie“.
#pascalmorche

ÜBER DEN AUTOR

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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