QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

Küss' die Hand!

Wer keine Handcreme verwendet, muß sich nicht wundern, dass ihn niemand anfasst.

Ich hoffe, Sie, mir geneigte Leserin, haben an dieser Stelle meine letzte Kolumne über „Füße der Frauen“ gelesen(?) Und weil diese Serie hier Hand und Fuß hat, widme ich mich dieses Mal den „Händen der Frauen“, welche ich selbstverständlich auch in Zeiten von Sexismusdebatten auf nämlichen trage.

Neutrogena Norwegische Formel Handcreme© Neutrogena

Meiner Tochter habe ich, als sie zur Frau heranwuchs, immer geraten, später bei einem Mann auf dessen Hände und Schuhe zu achten. Alle weiteren, ersten und spontanen Auswahlkriterien sind sekundär. Ich glaube, dass eine Mutter ihrem Sohn höchst selten ähnliches, also Frauen auf die Hände zu schauen, rät. Und da haben wir’s: Frauen achten bei Männern auf deren Hände; Männer hingegen interessieren sich nur wenig für die Hände einer Frau.

Bei mir ist das anders: Erotik entsteht im Kopf und wird mit dem Körper vollendet, wofür man (neben anderen Sexualbefriedigungsinstrumenten) die Hände braucht. Es muß nicht unangenehm sein, dass unsere Hände letztlich 24/7 immer auf Genitalhöhe herumhängen. Ja, das haben wir nun seit Beginn des Holozän von unserem aufrechten Gang! Als wir noch Vierfüßler waren (Vierhänder waren wir nie), da lag der Körperbereich für Lust und Fortpflanzung noch ganz weit weg; also irgendwo ganz hinten. Fragen Sie mal die Beauty.at-Redaktionskatze Blunzi.

Nun, ich will nicht abschweifen, denn ich achte auf die Hände einer Frau; auch auf ihre Finger und natürlich ihre Fingernägel . Neulich beobachtete ich Parfümerie-Verkäuferinnen, die mit unglaublich verzierten und verlängerten Fingernägeln in ihrer Pause vor dem Geschäft eine Dose Coca-Cola-light zu öffnen versuchten. Ich hatte Mitleid mit jenen geschminkten Karyatiden der zentralistisch gesteuerten Menschheitsverschönerung und vermute, sie sind verdurstet. Aber hier geht es heute um Hände, nicht um Nägel oder um Nagellack. Über Nagellack schrieb ich hier schon (wenn verpasst: Nachlesen! ) und für schöne Nägel gibt es sowieso nur ein einziges Wundermittel auf dieser Welt: Crème Abricot von Dior.

Zur flächendeckenden Menschheitsverschönerung gehört heute der absolute Overkill an Handpflegeprodukten. Ja, Achtung Menschheit: Soviel Handcreme wie heute war nie! Oberstes Ziel scheint es, Hände zu haben wie jene Schmuckverkäuferinnen beim Teleshopping. Auf den TV-Kanälen wird uns Handschönheit gnadenlos vor Augen gezoomt. Und weil wir derart gepflegte Hände eben auch haben wollen, herrscht heute eine geradezu hysterische Sucht, sich die Hände mit Handlotions und Cremes einzureiben – wobei sich viele unwissende  Handcremeanwender die geschmeidig machende Paste nicht auf ihre Handrücken, sondern in ihre Handflächen drücken. Nun denn egal, Hauptsache es wird auf die Tube gedrückt: Rauhen, rissigen, trockenen, spröden Händen hat die Kosmetikindustrie den Krieg erklärt – und im Handstreich gewonnen.

Doch nicht genug der Hand-Cremes . Weil die Industrie uns stets Probleme einreden muß, um ihre Zielgruppen zu erweitern, ist inzwischen auch jede Form von Handdesinfektionsgel so beliebt, als stünden wir unmittelbar vor einer Pest-, Cholera- und Tuberkulose-Epidemie. Ich halte diesen Tsunami von Handdesinfektionsmitteln für die legitime Fortsetzung des Pilatus-Komplex mit wohlduftenden Mitteln. Schade nur: wenn der eine Industriezweig boomt (Handcremes), darbt der andere (Handschuhe). Wo sind sie denn, die Glacéhandschuhe? Wo die Fingerhüllen aus weichstem Leder und feinster Seide? Warum sieht man keine Handschuhe mehr, die weit über die Ellbogen die Oberarme der Dame wärmend umschließen? Herstellern edler Handschuhe geht es ähnlich schlecht wie jenen, die heutzutage noch Männerhüte fertigen.

Ach, die Zeiten sind furchtbar, auch der Handkuss ist antiquiert . Was könnten sich Männer heute cremige Nasen holen; eher holen sie sich aber blutige, weil der Handkuss als übergriffige, sexuelle Belästigung gedeutet werden könnte. „Che gelida manina“ (Puccini, La Bohème) – und die Zeiten sind noch viel kälter. Und rauer. Da hilft auch keine Handcreme.

#pascalmorche

Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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