QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

Triumph des Willens!

Trotz Gender und Sexismus: Männliches Urinieren muß leider weiterhin sein – aber bitte politisch-hygienisch-anthropologisch-kulturhistorisch richtig.

Die Ängste des Mannes© im-sitzen-pinkeln.de

Nicht jeder Armleuchter ist eine Lichtgestalt; aber jeder Mann muß pinkeln. Weil sich Ihr beauty.at-Kolumnist hier stets den drängendsten, den ultimativen  Menschheitsfragen widmet, geht es an dieser Stelle diesmal mit feinem Gespür für Entwicklungsgenetik und Anthropologie um die Frage, ob es dem neuen Mann verwehrt werden kann, uralte toilettenspezifische Atavismen beizubehalten. Es geht um den soziokulturellen Sachverhalt des Stehpinkelns. Wir Männer kennen das schon länger als alle Genderstudies und Sexismusdebatten alt sind: Der Mann wird zum Männchen, zum Sitzpinkler . Aus dem einst stolzen Homo erectus soll ein sich hinkauerndes Etwas werden. Renitente Männer, die die Zeichen der feministischen Zeit nicht erkennen wollen, sagen: Schluss damit! Männer, steht auf! Pinkelt aufrecht! Und denkt dabei über den Sinn des Wortes „Zielvorstellung“ nach.

Die Urinalhersteller wissen längst, Männer müssen etwas zum Zielen haben. Diesem hohen kriegerischen Anteil der männlichen Seele werden sie gerecht, indem sie eine Fliege in die Urinalkeramik brennen. Also ich brauche keine Fliege im Urinal und auch nicht jene neckischen kleinen Fußballtore, in denen eine Kugel als Ball hängt. Ich gebe mich immer noch gerne damit zufrieden, den Riechstein im Urinal mit dem Urinstrahl zu verschieben – das gelingt nicht immer, aber man muß es, wie alles, zumindest versuchen. Auch ist es interessant, dass sich trotz durchsetzender Brazilian-Waxing-Ästhetik noch immer vereinzelte Schamhaare in Urinalen finden... es gibt immer etwas zum Zielen. Also, nah ran! Und, ach ja: dann kann Mann auch das oftmals wunderbar unterhaltende Latrinengeschmier lesen, diese semiliterarischen Aphorismen: „Tritt näher, er ist kürzer als Du denkst.“

Liebe Leserinnen, versteht mich recht: Ich bin durchaus für das Sitzpinkeln. Aber ist jede Klobrille so schön (und sauber), dass man auf ihr wirklich „sitzen“ will? Ist es nicht eher ein zwei Zentimeter hohes, die Beinmuskulatur extrem forderndes Schweben, dass Frauen auf Toilettenbrillen vollziehen? Das vergessen Frauen immer, wenn sie ihr feministisches Anliegen, uns Männer in die Hocke zu zwingen mittels kindischer Hinweisschilder neben dem Spülkasten postulieren. Sie vergessen auch, dass der Rückstrahleffekt ihres horizontalen Wasserlassens Klobrillen mit der Zeit von unten gelb färbt. Vielleicht ist das Verhaltensmuster des männlichen Stehpinkelns ja sogar eine biologisch bedingte Errungenschaft, um die Frauen uns Männer eigentlich tief beneiden. „Bei euch geht das ja leicht...“ wie oft hört man das, mit eben jenem neidvollen Unterton eine Frau sagen, wenn man beispielsweise einen Parkplatz sucht, oder wenn einen auf einer Wanderung Druck und Drang überkommen. Ja und gerne wird vergessen, dass es für manch wahre Hardcore-Feministin in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts sogar als akrobatisch-feministische Geste galt: Im Stehen zu pinkeln.

Der weibliche Neid auf die vertikale Entwässerung (sie wird uns Männern bei Prostatabeschwerden übrigens von Urologen empfohlen) hat sehr zu recht seine Grenzen, wenn Frauen mit der Beseitigung von Hinterlassenschaften männlichen Urinierens konfrontiert sind. Daher ist es unbedingt notwendig, dass Väter sich wieder mehr Zeit nehmen, ihre Söhne, wenn die Zeit gekommen ist, in das Jahrtausende alte Kulturgut und hohe Vergnügen des Stehpinkelns einzuweisen: Beine schön breit, fester Stand, Hosenladen weit und tief geöffnet, mit beiden Händen halten, Druck regulieren und den Strahl fein dosiert und ohne Streufeuer in den stehenden Wasserpegel des Siphons in der Klo-Schüssel lenken. Plätschergeräusche lassen sich vermeiden, indem die Keramik angepeilt wird. Dabei gilt es aber, den Einfallswinkel so flach zu berechnen, dass der berüchtigte Rückstrahl-Effekt begrenzt wird. Die Kunst des aufrecht stehenden Pinkelns, dieses hohe Kulturgut, kann nur durch ständige Übung tradiert und zur absoluten Vollendung gebracht werden. Der Mann, machtvoll stehend in seiner ganzen Pracht! Einzig der Triumph des Willens nicht daneben zu pinkeln, zeigt ihm am Ende, dass er sich nicht eines anderen Kulturguts bedienen muß: Spuren mittels Toilettenpapiers oder Putzlappens zu verwischen.

Und nun noch ein paar Worte zur Kommunikation auf Toiletten: An Urinalen in Reihe stehende Männer schätzen Sichtschutz zum Nebenmann und doch suchen sie das Gespräch. Manchmal ist es nur das gepresste, gedrückte Wort „Getränkerückgabe“, mit dem sie eine Konversation eröffnen (wollen). Stimmt ja auch: Urinieren ist reich an sozialer Bedeutung – auch Frauen tratschen gern auf dem Klo; mitunter lassen sie sich dabei auch nicht von Kabinenwänden stören. Dass Multitasking im Klo aus Japan, einem Land der großen Einsamkeit und hohen Suiziddichte stammt, verwundert da wenig. Das gschamige Klo-Wunderland Japan kann bekanntlich auf die am weitesten entwickelte Toilettentechnologie verweisen. Da säubern sich Toiletten selbst, es ertönt Musik als Geräuschausmerzer, da wird im Urin gleich der Blutzuckerspiegel mitgemessen. Viele der japanischen Klos sind mit diversen Duschköpfen zum Reinigen und mit Warmluftgebläsen zum Trocknen der menschlichen Ausscheidungsorgane ausgestattet. Wer sich in eine solch verspielte High-Tech-Toilette verirrt, der kann sich nur in die Natur hinter einen Baum zurückwünschen. Und noch etwas: Ihr Beauty-at-Kolumnist macht’s wirklich gern im Sitzen; aber nur, wenn’s so richtig schön gemütlich sein darf. Außerdem gibt es nur einen trifftigen Grund für Männer, sich zum Pinkeln zu setzen: das genußvolle Checken eines anderen Ausscheidungsorgans - des Smartphones!

Wir danken Im-Sitzen-Pinkeln.de für die Bereitstellung des Bildes.

#pascalmorche

Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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