QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

Vom Maskieren und Testieren

Erlebnisse eines deutschen Hysterikers im Wien der Coronazeit

Corona verändert alles: Weil weniger geflogen wird, geht der CO2-Ausstoß weltweit zurück; weil weniger geflirtet wird, lässt der Absatz von Lippenstift und Makeup-Produkten ebenso nach. Vieles macht einfach keinen Spaß mehr: sich zum Beispiel eine neue, coole Sonnenbrille zu kaufen. Maskiert in einem Optikerladen zu stehen, ist für den Kauf einer Brille in etwa so reizvoll, wie das Gourmet-Event eines Sternekochs in einer Kläranlage.

Corona© iStock_RyanKing999

Überhaupt: Diese Mund-Nasen-Schutzmasken! Wir schrieben schon einmal „Quiet Words“ darüber. Es war zu Beginn der Pandemie: „Die Maske vor die Maske – Vom Mundschutz zum Maulkorb“ .  Dort bemerkten wir bereits vor einem Jahr, dass der Maler Vincent van Gogh durch Einbüßung seines linken Ohres infolge exzessiver Selbstverstümmelung heute, in der Corona-Krise besonders benachteiligt wäre. Des Künstlers Schädel böte einfach keinen korrekten Halt für das Straps-Gummiband einer Atemschutz-Maske. Die schönsten ihrer Art gibt’s übrigens hier mit der frechen Aufschrift „Corona leugnen, sichert Arbeitsplätze“:

Sie kennen den bekannten Spruch, dass es jemand „faustdick hinter den Ohren“ habe? Die Behauptung stammt aus politisch unkorrekten Zeiten, als man glaubte, dass von der Schädelform eines Menschen auf dessen Charakter zu schließen sei. Wer’s faustdick hinter den Ohren hatte, dessen Schädelknochen war hinter den Ohren leicht gewölbt und er galt als listig, verschlagen, durchtrieben oder  gerissen. Physiognomiker, also Leute, die behaupten, dass der Mensch so ist wie er aussieht, haben heute nichts mehr zu melden. Hinter den Ohren hat’s heute keiner und keine mehr faustdick, dennoch wird der Platz hier allmählich knapp.

Wer das Gummiband einer Corona-Schutzmaske hinter den Ohren befestigt, dazu ein Hörgerät trägt und auch noch Brillenträger ist, der hat ein Problem. Frauen können dieses Problem durch das Tragen von Ohrringen auch noch steigern. Wenn sie sich das Gummiband von den Ohren herunterziehen, können sie dabei das filigrane Hörgerät oder das opulente Ohrgehänge gleich mit auf den Asphalt befördern. Wenn’s dumm läuft, kann man sich so materieller Werte in hohen vierstelligen Euro-Bereichen leicht, locker und für immer entledigen. Ich, Ihr beauty.at-Kolumnist, trage trotz jahrzehntelangem Richard Wagner-Konsums und der Liebe zu weiteren spätromantischen Heavy-Metallern (Bruckner, Strauss, Mahler etc) kein Hörgerät. Allerdings litt bei mir, Corona bedingt, ein anderes Organ: Die Nase.

Die Teststation, die ich aufsuchte, um meine negative Lebenseinstellung durch einen negativen Coronatest zu untermauern, war auch für Wiener Verhältnisse exquisit gewählt: Die Orangerie im Schloss Schönbrunn. An diesem historischen Ort, unter hell leuchtenden Kristall-Kronleuchtern musste ich an Fotos von Kirchen denken, die man im Krieg zu Notlazaretten umbaute. Das war der folgenden Prozedur schon mal abträglich. (Ich brauchte den Test übrigens nicht für den Friseur, sondern für den Grenzübertritt nach Deutschland).

Ja, die Tests: Spucken, Gurgeln und auch ein Rachen-Abstrich sind für mich okay; selbst für einen Anal-Abstrich (chinesische Methode) würde ich stolzer Mensch mich bücken. Unvorstellbar ist mir aber, dass jemand mit einem Stäbchen vom Durchmesser eines Barilla Nr.5-Spaghettis durch meine Nase hinter meinem Zäpfchen herumstochern will. Ich lasse mich nicht penetrieren (Penis intrare, sic!). Und wenn schon, dann kommt man deutlich einfacher hinters Zäpfchen, nämlich durch den Mund. Aber durch die Nase? Bei mir nicht!

Ein Tester kam mit seinem Test-Stäbchen auf mich zu. Er sah aus, als sei unweit, also beim Café Dommayer gerade ein Kernkraftwerk explodiert. Bedrohlich: weisser Ganzkörper-Schutzanzug, weisse Schutzmaske, Visier, Schutzbrille. Kein Mensch, vielmehr ein „Liquidator“ (so nannte man die, zur Eindämmung der Tschernobyl-Katastrophe eingesetzten Arbeiter in ähnlichem Outfit). Ja, ich fühlte mich bedroht! Ich sah um mich herum diese Stäbchen geradezu meterweise in den Nasen der Testpersonen verschwinden! Ich dachte an die Mumifizierung der Pharaonen und dass die alten Ägypter den Leichen damals das Gehirn mit Draht aus der Nase rausgezogen haben! Der Schädelinhalt sollte schließlich nicht faulen. Nun, all diese Gedanken, Assoziationen und Konnotationen waren dem Testprozedere jedenfalls extrem abträglich. In mir erwachte der Psycho-Piefke: schweißnasse Stirn, rot angelaufenes Gesicht, zitternde Hände, bebender Körper und die, von einem anerkannten Psychopathen verzweifelt gepressten Worte: „Durch die Nase, niemals! Niemals durch die Nase!“. Meine Begleiterin, meine wundervolle Beauty.at-Chefin schämte sich für mich in Grund und Marmorboden. Nach dem vierten Versuch eines Liquidators brach man den Testlauf bei mir ab. Man hatte Erbarmen mit mir oder wollte mich einfach nur mehr weiter haben. Schluss mit der Nasenpenetration! Man nahm mir einen Rachen-Abstrich. Geht doch!

Die Covid-19 Test-Kassette mit dem Abstrich hielt ich andächtig 15 Minuten in der Hand als sei sie eine Hostie. Dann das Ergebnis: negativ. Übrigens: tags darauf, bei der Grenzkontrolle interessierte sich niemand dafür.

#pascalmorche

ÜBER DEN AUTOR

Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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