QUIET WORDS

Betrachtungen des ultimativ Weiblichen

Einfallspinsel

Am Nagellack einer Frau könnte ein Mann verzweifeln -  muss er aber nicht. Es gibt ja noch andere Gründe

Nagellack© Ford, Mercedes, Renault, Semilac


Ich weiß eigentlich nicht, ob ich es wirklich mag, wenn Frauen Nagellack tragen? Das Thema Nagellack ist hochkompliziert und führt sofort auf gefährliches feministisch emanzipatorisches Gelände. Da gibt es also das wunderschöne Zitat von Burt Reynolds: „Solange der Nagellack nicht trocken ist, ist eine Frau wehrlos“. Diese Behauptung kann Feministinnen, für die Frauen 24 Stunden verteidigungsbereit sein müssen, natürlich nicht  gefallen. Obwohl der alte Hollywood-Chauvi mit seinem Machospruch durchaus recht hat: Während der Nagellack trocknet, zwingt sich eine Frau zu äußerster Passivität. Ja, eine ganz eigene Form von Duldungsstarre erfasst sie dann. Ich will nicht spekulieren, was man einer Frau alles Furchtbares antun könnte, wenn ihre Nägel frisch lackiert sind und sie ihre Hände mit abgespreizten Fingern hysterisch schüttelt, als habe sie sich verbrannt. Ich fürchte, es ist eine ganze Menge. Denn erst, wenn ihr Nagellack trocken ist, kann eine Frau wieder karatemäßig zuschlagen, in der Handtasche nach Pfefferspray wühlen – oder einen Mann umarmen.  Doch zurück zur emanzipierten, politisch korrekt behandelten Frau und dem Thema Nagellack.

Neulich gab’s wieder einmal Ärger. Der französische Autobauer Renault hatte Nagellack in vier Farben seines Kleinwagens Twingo auf den Markt gebracht. Ein Nagellackfläschchen gab es als herziges give away in der entsprechenden Farbe zu jedem Neuwagen dieses beliebten Frauenautos, „um auch kleinere Schrammen am Auto übertünchen zu können.“ Der Nagellack war bei der ersten Kundin sicher noch nicht trocken und die erste Schramme noch nicht in den Twingo gefahren, da hagelte es bereits Sexismus-Vorwürfe gegen Renault. Diese Marketing- und Werbe-Idee reduziere Frauen auf Beauty-Problemchen und suggeriere ihre Unfähigkeit nicht kratzerfrei einparken zu können.

Nun ist Nagellack ohnehin ursprünglich ein Nebenprodukt der Autoindustrie. In den 30er-Jahren war es, dass erstmals extravagante Karosserie-Lackierungen auf den Markt kamen. Ein Herr Charles Revson, Gründer der Kosmetikfirma Revlon und von Konkurrentin Helena Rubinstein nur „der Nagelmensch“ genannt, erkannte das farbenfrohe PKW-Potential und liess sich von dessen Lackqualität inspirieren. Auch wenn sich schon Kleopatra ihre Fingernägel lackiert haben soll, so gilt doch der ehemalige Kosmetikvertreter Revson im New York der 30er-Jahre als der Erfinder des Nagellacks. Und noch etwas Automobiles: Mercedes bietet ebenfalls ein Nagellack 3er-Set in den original Fahrzeuglackfarben Jupiterrot, Mountaingrau und Südseeblau an;  doch davon nimmt niemand Notiz. Sind eben für Männer bestimmte Fahrzeuge: Weniger Kratzer, weniger Beulen. Renault bestritt natürlich sofort, ihre hübsche Werbe-Idee sei sexistisch: „denn das Modell Twingo sei auf urbane Frauen ausgelegt und die Werbung zeige außerdem keine Frau, die nicht einparken könne.“

Aha! An dieser Erklärung fällt das Wort „urbane“ Frauen auf. Es bestätigt meine Feldforschungen in den großen Städten und in der weiten Provinz. Es ist nämlich so, dass urbane Frauen viel seltener Nagellack tragen und wenn, dann klassisch Rot oder Perlmutt. Bitte kreuzigen Sie Ihren Beauty.at-Kolumnisten jetzt nicht, aber irgendwie hängt Nagellack immer ein Hauch von wilder Spießigkeit an. Wirklich: Frauen mit (oftmals abenteuerlichem) Nagellack findet man am häufigsten in der Provinz und dort am allerhäufigsten in Swingerclubs. Wenn die rote Sonne im Nagelbett versinkt: Auf so atemberaubende Weise werden Nägel oft verziert, dass diese Bemühung um die weibliche Keratinplatte wahrhaftig das Wort Nageldesign verdient. Hier wird das Pinselchen geschwungen und der frenchstyle gepflegt, hier lebt das Ornament auf den Krallen, hier werden liebevoll Strasssteinchen auf die Klauen geklebt und zu Fußballweltmeisterschaften auch Nagelverzierungen in irgendwelchen Landesfarben aufgepinselt. Frauen besuchen ihre Nageldesignerin und nicht selten hat sich die beste Freundin als eine solche etabliert. „Ich habe jetzt meinen Traumberuf: Nageldesignerin!“, mögen sie ausrufen. Noch ein böser Chauvisatz, diesmal von Harald Schmidt, fällt mir da ein: „Die größte Verbesserung für die Sekretärin der Zukunft heißt: Tipp-Ex und Nagellack in einer Flasche!“ - auch wenn diese Innovation inzwischen von der Delete-Taste überholt wurde.

Das geht natürlich gar nicht für stilvolle, urbane Frauen. Für engagierte Businessfrauen und Alphawölfinnen im Kampf um die Frauenquote. In ländlichen Regionen scheinen Frauen mehr Zeit zu haben, um die Wissenschaft des perfekten Nagelauftragens (es ist eine!) zu erlernen und zu beherrschen. Grundieren, trocknen lassen, mehrere Schichten auftragen, dazwischen immer wieder trocknen lassen, polieren: Bis Nägel perfekt lackiert sind, können Stunden vergehen.  Allein das Fundament der Malerei ist ausgetüftelter als jenes des Burj Khalifa in Dubai. Schicht um Schicht – das galt nicht nur beim Freilegen der antiken Stadt Troja, das gilt auch beim Nagellack einer Frau: Filler, Ridgefiller, Basecoat, Topcoat, Topwahnsinn – manche Frauen sollen sich bis zu 100 Schichten auf die Nägel pinseln. Die Konsequenz der Mühen: Ein Nagellack ist immer nur so gut wie sein Nagellackentferner.

Nun, das Wort Nagelstudio ist für mich eigentlich nur ein Synonym für Bordell. Wir Männer können ohnehin diesen Nagellackkult kaum verstehen. Als kleine Buben – so war es bei mir – spechten wir auf die Kugel im Nagellackfläschen der Mutter. Wenn wir uns später fragen, warum eine Frau Nagellack, und trotz der überwältigenden Farbpalette der Kosmetikindustrie vornehmlich Rot trägt, kommen Männer zu bestialischen Antworten. Den Nagellack psychologisch zu deuten, führt (wie manche Deutung des typisch Weiblichen) wieder in jene archaischen Zonen, als Frauen sich tierisch in Fleisch krallten und ihre Klauen sodann blutig waren. Übrigens haben Mixed Martial Arts-Kämpferinnen stets lackierte Fingernägel – auch wenn das Blut im Gesicht oftmals ein noch viel intensiveres Rot hat. Aber, ich schweife ab... Eigentlich, so habe ich mir sagen lassen, gibt es nur „einen“ Nagellack: „Chanel Rouge Noir“. Diese Farbe bedeutet Frauen in etwa soviel wie Männern Ferraris Testarossa Rot.

Ach ja, wirklich pittoresk ist die Nagellackiererei einer Frau, wenn sie sich ihren Fußnägeln widmet. Toll und irgendwie obszön finde ich Zehenspreizer. Aber gut so! Ich liebe es, wenn der große Zeh aus Peep Toes hervorlugt und stelle mir dann immer vor, welche Liebe die Frau bei der Lackierung auch ihrem kleinen Zeh geschenkt haben mag, obschon es bei ihm gilt, einen Streichholzkopf anzumalen. Aber auch er bekommt seine Chance. Obwohl bei ihm immer zuerst der Lack ab ist. Eine Frau widmet sich ihrem kleinen Zeh mehr als ein Mann das jemals tun wird. Ich finde, wir sollten davon lernen. Sorry, als bekennender Fußfetischist musste ich das mal los werden.

Pascal Morché

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Pascal Morché

QUIET WORDS ist die gar nicht so stille Betrachtung des ultimativ Weiblichen, eine politisch unkorrekte Kolumne, deren Verfasser die Frauen kennt, sie liebend gerne beobachtet und seine Gedanken hier exklusiv niederschreibt.

Der bekannte Journalist Pascal Morché gilt als pointierter Autor, seine Kolumnen und Kommentare in führenden Tageszeitungen und Magazinen wie FAZ, SPIEGEL, die ZEIT und FOCUS zu Themen der Gesellschaft, Mode, Kunst und Kultur sind legendär. Seine "Lesungen der besonderen Art" haben Kultstatus. Seine Bücher "365 Tage Fashion" gelten als Bibel für Fashion Victims. 
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